Henriette Arendt

Sozial-Reformerin

Portraitfoto Henriette Arendt in Schwesterntracht

* 11.11.1874 in Königsberg
 † 22.08.1922 in Mainz


An Henriette Arendt wird oft als erste Polizeiassistentin Deutschlands erinnert, tatsächlich war sie vor allem eine wichtige Sozial-Reformerin. In einer Zeit, in der Frauen auf Haushalt und Kinder begrenzt wurden, schickte Max Arendt seine Tochter nach Berlin, wo sie widerstrebend eine Ausbildung zur Buchhalterin machte. Nach zwei Jahren im Kontor des Vaters in Königsberg kehrte sie 1895 mit 21 Jahren gegen dessen Willen nach Berlin zurück, sie wollte Krankenschwester werden. Dazu zog sie ins Schwesternhaus des Jüdischen Krankenhauses (Auguststraße 17). In ihrem Buch „Dornenpfade der Barmherzigkeit“ (erschienen 1909) schildert Henriette unter dem Pseudonym „Schwester Gerda“ ihre Erlebnisse und fordert eine bessere Pflege.

Henriette Ahrendt war eine eigenständig denkende Frau und nicht bereit, jeder Anordnung fraglos Folge zu leisten. Das führte zu Reibereien mit den Vorgesetzten, die sie, zusammen mit Erkrankungen, mit denen sie sich bei hoch ansteckenden Patienten infizierte, an den Rand ihrer Kräfte brachten, so dass sie während ihrer Abschlussprüfung zusammenbrach. Trotz der nicht bestandenen Prüfung durfte sie weiterhin als Pflegerin arbeiten. Sie schloss sie sich dem „Schwesterverband vom Roten Kreuz Augustahaus“ (Bülowstraße 7) an. Bis 1902 arbeitete Arendt in verschiedenen Haushalten und Anstalten, beispielsweise im „Sanatorium für Nervenkranke“ (Jungfernstieg 14).

Jüdisches Krankenhaus Berlin

1902 verließ sie Berlin und wurde Mitglied im „Stuttgarter-Hilfspflegerinnen-Verband“. Der empfahl sie der Polizei, wo sie als erste Polizeiassistentin Deutschlands angestellt wurde. In dieser neu geschaffenen Aufgabe kümmerte sich Arendt vor allem um junge Frauen, die als Prostituierte aufgegriffen worden waren. Für die zuvor ausschließlich mit Männern besetzte Sittenpolizei hatten Frauenverbände schon lange gefordert, dass eine weibliche Mitarbeiterin die Frauen bei Verhören und Untersuchungen begleiten und Übergriffe verhindern sollte. Neben ihrem Beruf begann Arendt, Vorträge über Frauenrechte und Kindeswohl zu halten. Vor allem der Kampf gegen den Kinderhandel wurde zu ihrem Herzensthema. Aus dem Kollegenkreis häuften sich währenddessen die Beschwerden. „Schwester Henny“ wurde mangelnde Treue, fehlende Disziplin und sogar die Unterschlagung von Geld vorgeworfen, was ihr allerdings nie nachgewiesen werden konnte.

Titelblatt des Buches über Henriette Arendts Wirken von Henrike Sappok-Laue

Trotz der Steine, die ihr so als einziger Frau im Polizeidienst in den Weg gelegt wurden, ließ sich Henriette Arendt nicht beirren. Als sie aber versuchte, einen Arzt, der zur Behandlung eines totkranken Jungens zu spät erschienen war, auf fahrlässige Tötung zu verklagen, konnte sie auch der ihr wohlgesonnene Polizeichef nicht mehr schützen. Im Dezember 1908 verließ Henriette Arendt den Dienst, um einer ehrenlosen Entlassung zuvorzukommen. Zwei Jahre später veröffentlichte sie ihre Sichtweise auf diese Zeit in dem Buch „Erlebnisse einer Polizeiassistentin“. Sie kritisiert den Umgang der Polizei mit Frauen und Kindern deutlich, was von den Herrschenden als anmaßend, von vielen Frauen aber als zutreffend aufgenommen und in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wurde.

Zu diesem Zeitpunkt war Henriette Arendt bereits in die Schweiz ausgewandert und hatte ihr Leben dem Kampf gegen den Kinderhandel, für Menschen- und Frauenrechte verschrieben. Eine Vortragstournee durch die USA vor allem zu moderner Krankenpflege war fest geplant, als der erste Weltkrieg begann und Arendt zum Spielball der politischen Kräfte wurde. Sie war mit einem Schweizer Visum nach Großbritannien gereist, um Vorträge zu halten und Kontakt zur Suffragetten-Bewegung aufzunehmen. Aufgrund ihrer deutschen Herkunft wurde sie wegen des Verdachts auf Spionage festgesetzt und nach Wochen im Gefängnis abgeschoben. Daran hatte auch eine Scheinheirat mit einem entfernt verwandten französischen General nichts ändern können. Wegen der Ehe mit dem Franzosen wusste Henriette Arendt, dass eine Heimkehr nach Deutschland schwierig sein würde. In den letzten sechs Jahren ihres Lebens scheint Henriette Arend die Kraft zum Aufbegehren verloren zu haben. Bekannt ist, dass sie in Mainz lebte, wo sie aber ihre politische Arbeit ruhen ließ. Als sie 1922 nach einer Operation mit nur 47 Jahren starb, hatte sie als Oberschwester bei der französischen Rheinarmee wieder eine feste Anstellung gefunden.

Henriette Arendt hat nicht wie die Sozial-Reformerin Alice Salomon eine Einrichtung geschaffen, die sie überdauerte und ist daher heute eher Fachkreisen bekannt. Ihre Bücher zeugen von großem Reformeifer und fundierter Kenntnis. Von der gutbürgerlichen Familie der Arendts (Hanna Arendt war ihrer Nichte) hatte sich „Tante Heine“ räumlich wie politisch weit entfernt. In Stuttgart war sie als „taktlos, unweiblich und preußisch“ verfemt worden. In einem Nachruf in der Süddeutschen Arbeiterzeitung wurde ihre unbeugsame und selbstbewusste Art treffend beschrieben: „Sie war und blieb letzten Endes Individualistin.“

Weitere Informationen

Wikipedia-Artikel über Henriette Arendt

Erlebnisse einer Polizei-Assistentin (Film)

WDR-Zeitzeichen zu Henriette Arendt