Friedrich Wilhelm Strassmann

Chemiker

Strassmann im Jahr 1920
Fritz Strassmann ca. 1920

* 22.02.1902 in Boppard
† 22.04.1980 in Mainz

Er war der Mann aus der zweiten Reihe. Einer, der ruhig und zielstrebig im Hintergrund arbeitet, der wissenschaftliches Interesse vor persönlichen Ruhm stellte. Sonst hätte Fritz Strassmann die Schmach wohl nicht ertragen, die ihm der große Theoretiker der Kernphysik Niels Bohr 1960 zufügte: “Wie, es gibt Sie wirklich, Herr Strassmann? Ich dachte immer, Hahn hätte Sie erfunden, um die Bürde der Entdeckung nicht allein tragen zu müssen”, spöttelte der bei ihrem ersten Treffen. Hatte Bohr tatsächlich geglaubt, Otto Hahn habe die entscheidenden Experimente alleine durchgeführt, die zur Entdeckung der Urankern-Spaltung führten? Dem war nicht so: Fritz Strassmann war stets an Hahns Seite am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin, Habelschwerdter Allee 45.

Gedenktafel zur Entdeckung der Kernspaltung / Foto: Wikipedia/Freie Universität Berlin
Gedenktafel zur Entdeckung der Kernspaltung

Und er war weit mehr als nur sein Gehilfe. Frisch promoviert und mit besten Zeugnissen war Strassmann 1929 nach Dahlem gekommen. Dort hatte seit 1928 Otto Hahn das Sagen; Leiterin der radiophysikalischen Abteilung war Lise Meitner. Hahn übertrug dem 27jährigen Studien zur angewandten Radioaktivität. Strassmanns analytischer Verstand und seine Geschicklichkeit im Labor fielen auf. Hahn und Meitner zogen ihn 1934 zu ihren Experimenten hinzu. Sie waren auf der Suche nach Trans-Uranen: Elemente mit einem dichteren Protonenkern als Uran (Ordnungszahl 92). Sie suchten Element 93, sie fanden den Schlüssel zur Atombombe. Den entscheidenden Indikatorversuch führte Strassmann am 17. Dezember 1938 durch. Hahn wollte das Ergebnis, das allen Erfahrungen widersprach, zunächst nicht glauben. “Vielleicht kannst du eine phantastische Erklärung vorschlagen”, schrieb er Meitner. “Es könnten doch vielleicht eine Reihe seltsamer Zufälle unsere Ergebnisse vorgetäuscht haben”, orakelte er am 22. Dezember in einem Artikel.

Er hätte vieles anders formuliert als Hahn, notiert Strassmann in seinen Erinnerungen. Er war sich seiner Ergebnisse sicher. Was die Entdeckung bedeutete, dafür lieferte Meitner, theoretischer Kopf des Trios, die Erklärung: Unter Neutronenbeschuss platzt der Urankern. Neben Barium und Krypton werden beim Spaltprozess Neutronen freigesetzt. Mit Atomkraft werden sie vom Urankern weggeschleudert, infizieren umliegende Atomkerne und lösen dort ebenfalls die Spaltung aus. Eine völlig neue Form chemisch-physikalischer Reaktion mit Freisetzung ungeahnter Energiemengen. Hiroshima begann 1938 in Berlin, wird es später heißen.

Innerhalb von Tagen fanden die Berliner Ergebnisse weltweit Beachtung. Und Strassmann stand im Schatten des Meisters. Nur der bekam 1944 den Nobelpreis für Chemie.

Jahre später gab Hahn zu Protokoll, er sei “eigentlich betrübt” gewesen, dass Strassmann leer ausgegangen sei. Sein Anteil am Ergebnis sei ”ganz wesentlich” gewesen, “mindestens die Hälfte”. Noch vor Ende des Krieges verließ Strassmann das zerstörte Berlin. Er zog 1944 nach Tailfingen, 1946 nach Mainz. Die Berliner Forschungsanstalt war nach Württemberg ausgelagert worden. Der 42 jährige übernahm die Leitung der ehemals Hahn’schen Abteilung. Das Institut fand 1946 bei der neu errichteten Johannes Gutenberg-Universität seinen endgültigen Platz, 1949 wurde es in Max-Planck- Institut für Chemie umbenannt. Strassmann leitete es bis 1953, dann widmete er sich seiner Professur für Anorganische Chemie.

Es war die Frage, was die Welt zusammenhält, die ihn antrieb. Atomforschung mit dem Ziel zu zerstören verweigerte er sich. Das dokumentierte er 1957 mit der Unterzeichnung des Göttinger Appells, in dem 18 Atomwissenschaftler bekunden, Adenauers Pläne zur atomaren Aufrüstung der Bundesrepublik nicht zu unterstützen.