Johannes Peter Müller

Physiologe und Anaton

Lithographie Müllers, unbekanntes Entstehungsjahr

* 14.07.1801 in Koblenz
28.04.1858 in Berlin

Johannes Peter Müller, Professor für Anatomie und Physiologie und später Rektor der Friedrich-Wilhelm- (der heutigen Humboldt-) Universität (Unter den Linden) gelang der Brückenschlag von der naturphilosophischen zur naturwissenschaftlich fundierten Medizin. Er begründete die neuzeitliche Physiologie, die die biologischen Vorgänge mit Hilfe chemischer und physikalischer Messungen untersucht. Das menschliche Dasein wurde nicht mehr als Teil einer göttlichen, vorbestimmten Ordnung begriffen. “Keine anderen Kräfte als die allgemein physikalisch-chemischen wirken im Organismus”, betonte Müller-Schüler Emil du Bois-Reymond.

Als Sohn eines Schuhmachers 1801 in Koblenz geboren, trieb der äußerst strebsame und ausdauernde Johannes bereits in jungen Jahren biologische Studien. Stundenlang konnte er Spinnen beobachten. Sein Medizinstudium nahm er 1819 an der Universität Bonn auf, wo noch im Geiste der Naturphilosophie gelehrt wurde. Als er 1822 als junger Doktor an die Universität Berlin wechselte, besuchte er dort vor allem die Vorlesungen des angesehenen deutschen Naturforschers Karl Asmund Rudolphie (1771–1832). Dieser war seit Gründung der Alma Mater Berolinensis 1810 Professor für Anatomie und Physiologie.

Handbuch der Physiologie des Menschen, Ausgabe in fünf Bänden 1833 – 1840
Handbuch der Physiologie des Menschen, Ausgabe in fünf Bänden 1833 – 1840

Im Jahre 1833 sollte Müller auf eigenen Vorschlag sein Nachfolger werden. Ungezählt sind die Studenten, die Müller zu wissenschaftlichem Denken anregte und die es ihrerseits zu Ruhm und Ehre brachten. Ob Theodor Schwann, Jakob Henle, Ernst Haeckel, Emil du Bois-Reymond, Ernst von Brücke oder Hermann von Helmholtz: Müllers Schüler zählen zu den Hauptvertretern der “wissenschaftlichen Medizin” in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Rudolf Virchow, auch er ein Student Müllers, wird über Jahrzehnte als der deutsche Medizin-Papst gelten.

Mit seiner Ehefrau Nanny Ziller wohnte Müller seit 1833 in der Nähe des Anatomischen Instituts hinter der Garnisonskirche (heute  Litfaßplatz). Dort sezierte, mikroskopierte, notierte und systematisierte er unablässlich seine umfassenden Forschungen und publizierte die Ergebnisse in umfangreichen Werken. Sein “Handbuch der Physiologie” wurde ein Welterfolg.

Eine völlig neue Situation für den politisch unerfahrenen Müller brachte die März-Revolution 1848. Auch die Berliner Studenten forderten die nationale Einheit und begehrten liberale Freiheiten. Als Rektor der Universität gehörte Müller zum “geistigen Leibregiment der Hohenzollern”, dennoch stand er am 18. März in seinem Talar an der Spitze des Senats und an der Seite der Studenten, um von König Friedrich Wilhelm IV den Rückzug seiner Truppen zu verlangen. Der lehnte ab. Bei den anschließenden Barrikadenkämpfen starben vier Studenten. In vollem Ornat marschierte Müller hinter den Särgen. An seiner königstreuen Haltung änderte dies nichts. Die Bürde des Amtes schien ihn fortan zu drücken, Depressionen waren die Folge.

Lanzettfischchen

Immer häufiger brach er zu ausgedehnten Forschungsreisen auf, studierte die harpunenähnlichen Pfeile der Giftzüngler-Schnecken oder beschrieb erstmalig das Lanzettfischchen, das bis heute als einziges noch aus der Urzeit existierendes Schädelloses gilt, bei dem ein knöcherner Schädel, ein echtes Gehirn, eine Wirbelsäule und Extremitäten fehlen.

Der vergleichenden Anatomie und Morphologie der Seetiere gab er wichtige Impulse, Müller erhielt internationale Auszeichnungen. Mit wachsender Distanz beobachtete der Gelehrte die rasant fortschreitende inhaltliche und disziplinäre Ausdifferenzierung der Physiologie, einen Prozess, den er selbst entscheidend mit angestoßen hatte.

Am 27. April 1858 beschriftete er das letzte von ihm gesammelte Präparat im anatomischen Museum mit der Nummer 19577. Am nächsten Morgen wurde er tot aufgefunden. Einer Obduktion hatte Müller zu Lebzeiten widersprochen. Seine nächsten Schüler widersprachen dem Gerücht nicht, dass er mit einer Überdosis Morphium seinem Leben ein Ende gesetzt habe.